Der Februar ist auch als „Narrenmond“ bekannt, da früher in dieser Zeit Rituale vollzogen wurden, um Fruchtbarkeit zu zelebrieren und Dämonen auszutreiben.
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Das Ritual
Trommelschläge dröhnten aus den dunklen Tälern herauf. Das stete Pochen erklang schon seit den frühen Mittagsstunden, und im gleichen Maße, wie der Rhythmus an Geschwindigkeit gewann, spürte auch Ferenc die Erregung in sich aufsteigen. Das hoch lodernde Feuer in der Mitte der Lichtung trieb ihm Schweißperlen auf die Stirn, wann immer er sich in dessen Nähe wagte.
Die Lichtung war mit Fackeln abgesteckt, die wild flackernd die Nacht erhellten. Noch waren sie allein, seine Schwester Kiara und er, während sie ihm das schwere Bärenfell umlegte, aber nicht mehr lange. Die Trommeln kamen näher. Die Prozession war auf dem Weg.
Ferenc schloss die Augen. Er hatte gedacht, er würde sich mächtig vorkommen, wenn die schweren Tatzen sich auf seine Schultern legten, aber stattdessen fühlte er sich noch kleiner, noch schmächtiger als zuvor. Die dunklen Krallen des Bären kratzten über seine Haut. Die Maske roch ledrig und scharf.
Er würde heiraten. Er musste heiraten, und er wollte es auch. Harte Sommer und noch härtere Winter hatten ihren Klan auf ein knappes Dutzend Mitglieder reduziert, und die Ehe sollte Glück bringen. Glück, Bündnisse und ein fruchtbares Jahr, in vielerlei Hinsicht. Geschwisterklans, Handelspartner, gesicherte Bergpässe – all das würden sie brauchen, wenn sie den kommenden Winter überleben wollten.
Die Trommeln wurden lauter, dringlicher – er konnte das Flackern der Fackeln zwischen den Bäumen sehen.
Ein letztes Mal bürstete Kiara das Bärenfell zurecht, dann schob sie ihn Richtung Feuer. „Denk daran: Sie darf erst sprechen, wenn du ihr die Erlaubnis erteilst.“ Sie warf ihm einen strengen Blick zu. „Also wenn du vergisst, ihr die Erlaubnis zu erteilen, kann sie der Ehe auch nicht zustimmen.“
Ferenc nickte. Ihm schwirrte der Kopf von all den Regeln und Aufgaben, die er heute zu bedenken hatte, und der süße Wein, mit dem sie sich die Wartezeit vertrieben hatten, hatte nicht geholfen. „Dabei wäre es doch für die Ehe bestimmt gut, oder?“ Er grinste seine Schwester an. „Wenn sie immer den Mund halten muss?“
Kiara verdrehte die Augen. „Es wäre für die Ehe garantiert gut, wenn du nicht immer so einen Mist von dir geben würdest.“
Ferenc biss sich auf die Lippe. Mist von sich zu geben war seine größte Begabung. Aber die Zeremonie war kurz, und dann war das Bündnis geschlossen. Dann war es egal, wie viele Male am Tag er das Falsche sagte.
Krieger, in Felle gehüllt und schwer bewaffnet, strömten auf die Lichtung. Sie bildeten einen Kreis um Ferenc, der kalten Schweiß auf seine Stirn trieb. Nur weil er hier und da Mitglieder seiner eigenen Truppe unter den Klansmitgliedern erkennen konnte, schaffte er es, sich nicht nach Kiara umzusehen.
Die Priesterin, in ein flatterndes Gewand gehüllt und schwer bepackt, kam als nächstes, und dann Ferencs Braut. Er sah dem Mädchen entgegen, das bedächtig über die Lichtung schritt, genau wie er eingehüllt in das Fell eines wilden Tiers. Roan hieß sie – Roan mit den dunklen Augen. Die scharfen Eckzähne einer Wildkatze rahmten ihr Gesicht. Helle Locken hatten sich in dem Gebiss verfangen und fielen ihr in Strähnen in die Stirn. Ein Schleier bedeckte, symbolisch, ihre Lippen.
Ferenc spürte, wie sein Magen einen Satz machte.
Die Priesterin geleitete Roan zu ihm herüber. Sie bedeutete ihnen beiden, sich auf die harte Erde zu setzen, und breitete dann verschiedene Artefakte hinter ihnen aus.
Die Trommeln schwiegen, aber ihr Klang hallte noch in Ferencs Ohren. Er warf dem Mädchen neben sich einen Blick zu. Sie war über Stunden mit der Prozession den Berg hinauf gestiegen – war sie nicht müde, nicht dreckig und verschwitzt?
Er lehnte sich zu ihr hinüber. „Vielleicht willst du nachher ein Bad nehmen“, murmelte er.
Ohne ihn anzusehen, verzog sie das Gesicht.
Zu spät fiel Ferenc auf, dass seine Worte – wieder einmal – anders aus seinem Mund gekommen waren, als er sie gemeint hatte. Blut schoss ihm in die Wangen. Aber bevor er seine Bemerkung erklären konnte, hob die Priesterin einen steinernen Kelch in die Höhe und schritt, zwischen ihm und Roan hindurch, zum Feuer.
„Wir sind zusammengekommen, um diese beiden Seelen zu vereinen“, sagte sie laut. „So lasset uns sie vereinen, in Frieden und in Ewigkeit.“
„In Ewigkeit“, murmelte der Kreis der Krieger.
Die Priesterin trat ganz dicht an die glühenden Scheite heran. Bevor sie jedoch den Kelch über die Flammen heben konnte, kam ein Mann zwischen den Bäumen hervor. Ein Hüne von einem Mann, dessen klimpernde Schelmenmütze und bunte Streifen auf den Armen ihn nicht weniger furchteinflößend wirken ließen.
Der Mann ging, gemächlich, sich seines Auftritts bewusst, auf die lodernden Flammen zu. Aus der Glut unter seinen Füßen stoben Funken auf, die er betont nicht beachtete. Ferenc war mit einem Male sehr dankbar für seine stinkende, kratzige Maske, die seine ängstliche Miene versteckte.
„Das kann ich nicht zulassen“, sagte der Mann mit der Narrenkappe laut. „Denn dieses Mädchen“, und er wies mit der Hand entschieden auf Roan, „liebt mich und keinen anderen.“
Ferenc konnte nur den Umriss der Priesterin sehen, wie sie reglos am Feuer stand. Er warf Roan einen Blick zu, doch auch sie bewegte sich nicht, starrte nur, den Mund leicht geöffnet, zu dem Hünen hinüber.
Er schluckte schwer. Ihm war ganz übel vor Hitze und Wein und einer heißen Enttäuschung, die sich in seiner Magengrube ausbreitete. Hätte ihm nicht jemand sagen können, dass seine Braut einen anderen liebte? Er wollte ja auch nicht sein Leben mit einem Mädchen verbringen, das sich nur mit ihm vermählte, weil sie sich dazu gezwungen fühlte.
Im Feuer zerbarsten krachend die Scheite. Ferenc zuckte zurück, um dem Funkenregen zu entgehen, und stieß gegen die Artefakte der Priesterin. Irgendetwas klirrte hinter ihm.
Der Narr lachte höhnisch. „Sieh’s ein“, sagte er laut. „Sie kann dich nicht wollen. Du bist noch ein Kind.“ Er machte ein paar drohende Schritte auf ihn zu. „Also beende diese Farce und gib sie frei!“
Ferenc sah sich hektisch um. Warum schritt niemand ein? Erwartungsvoll schweigend starten die Krieger ihm entgegen. Kiara stand hinter dem gigantischen Narren, eine Hand auf dem Knauf ihres Schwerts, aber auch sie sagte nichts.
„Also ich… ähm…“ Ferenc warf noch einen hilflosen Blick in die Runde. „Wenn sie das möchte?“
Roan warf ihm einen Blick zu, den er nicht verstand. Seine unbeholfenen Worte fielen ihm wieder ein. Natürlich mochte sie. Natürlich.
Triumphierend trat der Narr näher. Roan sah zu ihm hinauf. Noch ein Blick in Ferencs Richtung, dann rappelte sie sich auf, schob die Wildkatzenmaske aus ihrer Stirn und ging dem Mann entgegen. Sie riss den Schleier von ihrem Mund und feuerte ihn zwischen ihnen auf die zertrampelte Erde.
„Sie möchte nicht!“, fauchte sie. Ihre schönen Augen funkelten erbost. „Sie hat sich entschieden, an dieser Zeremonie teilzunehmen, und nur weil du“, und sie schleuderte das Wort dem Narren förmlich entgegen, „einmal einen Kuss von mir erhascht hast, hast du noch lange nicht über mein Leben zu entscheiden!“
Ferenc, den Magen heiß, sah von ihr zu ihrem Liebhaber. Ehemaligen Liebhaber. Hieß das, dass sie doch nicht mochte?
Der Narr öffnete den Mund, aber kein Geräusch kam über seine Lippen. „Roan“, stotterte er schließlich. „Ich – er ist ein kleiner Junge!“
„Er hat mich selbst entscheiden lassen!“, warf sie zurück. „Im Gegensatz zu dir, starker Mann.“
Der Narr warf Ferenc einen bösen Blick zu.
„Du hast sie gehört“, sagte Ferenc. „Verzieh dich.“ Hinter dem Narren konnte er sehen, wie Kiara sich ob seiner Worte an den Kopf fasste.
Die Miene des Narren verfinsterte sich, so dass Ferenc einen Moment fürchtete, er hätte nun zum letzten Mal das Falsche gesagt. Aber dann spuckte der Mann bloß auf den Boden und drängte aus dem Kreis, hinaus aus dem flackernden Feuerschein, ohne sich noch einmal umzusehen.
Roan richtete das Wildkatzenfell auf ihren Schultern und bedeutete der Priesterin, fortzufahren. Anscheinend plante sie, den Vorfall zu ignorieren – setzte sich neben ihn, als sei nie etwas geschehen. Der Schleier lag vergessen im Staub, und so konnte Ferenc genau beobachten, wie sie ihre Lippen ganz nah an seine brachte. Sich vorlehnte, so dass ihr Atem heiß über seine Wange streifte.
„Danke“, flüsterte sie. „Dass du mir die Wahl gelassen hast.“
Ferenc nickte großmütig. Er hatte keine Erinnerung daran, ihr die Wahl gegeben zu haben – aber vielleicht doch? Sie durfte erst sprechen, wenn er sie dazu aufforderte, hatte Kiara gesagt. Und von den wohlwollenden Gesichtern um sie herum zu schließen – von der Priesterin, die den Becher übers Feuer hob – hatten sie sich wohl gemäß der alten Bräuche verhalten.
Ferenc zog seine Bärenmaske tiefer ins Gesicht, um sein Grinsen zu verbergen. Meistens sagte er versehentlich das Falsche. Aber diesmal hatte er wohl, versehentlich, genau das Richtige gesagt.
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