Januar – Satansbraten

Am 22. Januar ist nationaler „Beantworte die Fragen deiner Katze“-Tag in den USA.

Außerdem zum Thema: Carola Wolffs Das Kätzchen der Apokalypse, C. A. Raavens Talking to Bastet und Maike Steins … und danke für den Fisch!

Satansbraten

Die Tür zu meinem Schlafzimmer, aus Gewohnheit angelehnt, öffnete sich mit einem Knarren. Ich hatte nicht wirklich geschlafen. Bloß dahingedämmert, wie schon so viele Nächte zuvor, mit wild kreisenden Gedanken und einer unbequemen Liegeposition nach der anderen.

„Lass mich in Ruhe“, brummte ich. „Du bist tot.“

Ein empörtes Maunzen antwortete mir.

Unwillkürlich sah ich hinüber. Die schwarze Bestie im Türrahmen klang wie mein Kater, ja. Sah aus wie mein Kater, bis darauf, dass ihn ein bläulicher Schimmer zu umgeben schien, als habe jemand einen schlechten Geisterfilm gedreht. Bis darauf, dass ich verschwommen den Türpfosten sehen konnte, wo Kaspars Rippen sein müssten.

Er war nicht wirklich da, das wusste ich genau. Und doch war das der gigantische Umriss, der schon zu Kaspars Lebzeiten jede Nacht in meinem Türrahmen gestanden hatte. Der mich mindestens ein Date gekostet hatte, weil niemand sich vor dieser Höllenhunderscheinung freiwillig ausziehen wollte. Das unebene Fell, der zerfledderte Schwanz. Große, blau leuchtende Augen, von denen eins wegen einer Narbe stets missmutig zusammengekniffen schien.

Bei dem Anblick zog sich alles in mir zusammen. Kaspar der Kater, ein Miststück vor dem Herrn. Seit dem Julinachmittag vor fast zehn Jahren, an dem er durchs Küchenfenster einstieg, um mir den Lachs aus der Pfanne zu angeln, war ich ihn nicht mehr losgeworden. Und ich hatte definitiv versucht, ihn loszuwerden. Im Tierheim angerufen, Flyer verteilt, auf Facebook die Haustiergruppen durchforstet. Niemand hatte Kaspar schon einmal gesehen. Oder vielleicht wollte es auch einfach niemand zugeben.

Mit einem Stöhnen stütze ich mich auf einen Ellenbogen und blinzelte die Müdigkeit aus meinen Augen. „Was willst du?“

Lautlos kam die Gestalt näher. Das war neu. Sonst stand die gespenstische Erscheinung bloß auf der Türschwelle und starrte mich an, bis der Schlaf mir irgendwann doch einmal die Augen zudrückte. Ich blinzelte vorsichtshalber, aber Kaspar, Kaspars Geist, durchschritt tatsächlich das Zimmer und blieb auf meinem Bettvorleger stehen.

Ich machte den Hals lang.

Erwartungsvoll miaute er zu mir herauf. Im Leben wie im Tode war seine Kommunikation unsubtil; eher das Blöken eines Schafs als das elegante Maunzen eines Stubentigers.

Ich seufzte schwer. „Was?“, fragte ich laut. „Es ist“, ein Blick Richtung Wecker, „drei Uhr morgens, Herrgott noch mal.“

Wieder das Geschrei. Aus Reflex streckte ich die Hand aus, um ihm besänftigend über den Kopf zu streicheln, doch meine Finger glitten widerstandslos durch das Geisterwesen hindurch.

Mit einem Kloß im Hals sah ich zur Seite.

Kaspar war tot. Das war einfach so, auch wenn ich es manchmal vergaß. Auch wenn ich manchmal nach ihm rief, wenn ich die Haustür aufschloss, oder im Supermarkt ohne Nachzudenken die Futterdosen aus dem Regal nahm. Kaspar hatte eines Morgens, steif und zerzaust, im Straßengraben gelegen, und ich hatte einen halben Vormittag gebraucht, um aus dem widerspenstigen Boden hinten am Zaun eine ausreichend große Grube auszuheben. Ich hatte ihn eigenhändig in ein altes Handtuch gewickelt und mit staubiger Erde bedeckt, und nur weil diese Höllengestalt so aussah wie er, würde sich daran nichts ändern.

Ich drehte dem gespenstischen Leuchten den Rücken zu. „Ich glaube nicht an Geister“, sagte ich laut. „Also auf Wiedersehen.“

Irgendetwas klirrte hinter mir. Als ich mit jahrelanger Übung herumfuhr, hatte der Höllenkater einen Satz auf den Nachttisch gemacht, wo er nun unschuldig zwischen Lampe und Bücherstapel entlang stakste. Eins seiner Ohren war nach irgendeiner Keilerei nur noch ein unförmiger Fetzen, aber das hinderte ihn nicht, es mir aufmerksam entgegen zu klappen.

„Du bist ein Satansbraten“, sagte ich aus Gewohnheit.

Kaspar maunzte leise. Wie er mich so ansah, konnte ich Kaspar den Geist nicht mehr von Kaspar dem Kater unterscheiden – blaues Leuchten hin oder her, ich kannte doch diesen Blick, diese Narbe quer über die Nase. Jahre hatte ich mit ihm verbracht, mit diesem elenden Straßenkater, der ohne zu fragen bei mir eingezogen war. Der geduldig auf meinem Schoß lag, während ich die Finger in sein Fell krallte und mir die Seele aus dem Leib heulte, weil ich von meinem Traumjob gefeuert worden war. Der nachts, wenn ich aus unruhigen Träumen hochschreckte, reglos auf meinem Nachttisch saß und mich ruhig anblinzelte, wie eine Sphinx, an deren fürchterlicher Gestalt niemand vorbei kommen würde.

Der in meinem Garten verrottete, in einer überwucherten Ecke, die ich nicht einmal mehr ansehen mochte.

Die Erscheinung legte den Kopf zur Seite. Das Licht, das durchs Fenster hereinschien, ließ die Schnurrbarthaare blau aufleuchten.

Kopfschüttelnd ließ ich den Kopf in den Nacken fallen, sah zur Decke hinauf. „Weißt du, woher ich weiß, dass du nicht mein Kaspar bist?“ Ich versteckte mein Gähnen im Ärmel. „Weil der echte Kaspar niemals ein Wasserglas unversehrt auf dem Nachttisch stehen gelassen hätte.“ Ich wies auf das gefüllte, unangetastete Gefäß neben dem Wecker. „Du Schwindler.“

Nicht-Kaspar streckte eine Pfote aus und trat leichtfüßig auf mein Kopfkissen. Die Daunen gaben nicht unter ihm nach, als er auf die Matratze hinunterstieg, sich prüfend umsah und mir dann unvermittelt ins Gesicht schrie.

Ich rückte zur Seite.

Zufrieden rollte der Geisterkater sich neben mir zusammen. Er drapierte die zerzauste Schwanzspitze über seine Nase und blinzelte mich langsam an. Ich hatte bei Kaspar nie das Gefühl gehabt, er würde mich verstehen, so wie andere Leute das von ihren Katzen behaupteten. Nie geglaubt, wir würden ernstzunehmend miteinander kommunizieren. Und trotzdem schien eine Frage im Raum zu schweben, unausgesprochen und doch unfassbar klar.

Vermisst du mich?

Ich legte meinen Arm um die schillernde Gestalt. Ganz nah. So wie früher, wenn Kaspar sich in kalten Nächten, Krallen und Zähne blutig, unschuldig in mein Bett legte. Aber nicht so nah, dass ich ihn berührte – dass ich akzeptieren müsste, dass es meinen Kater nicht mehr gab.

„Jeden Tag“, flüsterte ich.

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